Abschiebung trotz Ausbildung und Job: Was ist los bei Leipzigs Ausländerbehörde?

Obwohl gut ausgebildet und in einer Tauchaer Firma integriert, sollte ein Arbeitnehmer aus Vietnam abgeschoben werden. Die LVZ fragt nach: Ist das gängige Praxis bei der Ausländerbehörde in Leipzig?

Der Vietnamese Le van Hoang kann aufatmen. Für den 29-Jährigen ist eine wochenlange Hängepartie zu Ende gegangen. Weil er keine Aufenthaltserlaubnis hatte, sollte der gut integrierte Mann abgeschoben werden. Es kam anders: Nach Einschreiten der Handwerkskammer zu Leipzig und in Kooperation mit der Leipziger Ausländerbehörde kann er im Land bleiben und sich eine Zukunft aufbauen.

Stellt sich die Frage: Wie ergeht es anderen gut integrierten Vietnamesen in Sachsen? Ist das Abschieben ausgebildeter Fachkräfte mit Arbeitsvertrag ein Ausnahmefall oder regelmäßige Praxis, die der Fachkräfteinitiative des Freistaates zuwiderläuft?

Einreiseverfahren zuvor nicht schnell und effektiv

Bei der Ausländerbehörde in Leipzig, die dem Ordnungsamt der Stadtverwaltung zugeordnet ist, stellte der 1. März 2020 eine Art Zäsur dar. An diesem Tag war das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten. Es soll bei der qualifizierten Zuwanderung helfen, so ein Sprecher der Behörde. Insbesondere sei seitdem das Nachholen des Visumverfahrens wesentlich einfacher. So könne die Abschiebung in Deutschland benötigter Fachkräfte verhindert werden, die wie Le van Hoang illegal eingereist sind, um hier zu arbeiten.

Zuvor hatte es ganz anders ausgesehen. „Zwar ist die Ausländerbehörde der Stadt Leipzig bereits seit 2013 auf die Fachkräftemigration spezialisiert“, so der Sprecher. Bis zum neuen Gesetz habe man aber regionalen Arbeitgebern kein effektives und schnelles Einreiseverfahren für Fachkräfte aus dem Ausland anbieten können. „Dies war bisweilen ein Hemmnis für die ansonsten gewollte Migration von qualifizierten Arbeitskräften.“

Dank des neuen Verfahrens ist zwischen Ausländerbehörde und Arbeitgebern eine Kooperation möglich, die den Namen auch verdient. Arbeitsabläufe und Kompetenzen werden jetzt in einem (Haupt-)Verfahren gebündelt, so der Sprecher weiter. Im Zeitraum von März 2020 bis Mai 2024 konnten laut Ausländerbehörde 483 Verfahren zusammen mit Leipziger Arbeitgebern durchgeführt werden.

Offensichtlich mit Erfolg: Denn zuletzt war in Leipzig 2020 ein vietnamesischer Staatsangehöriger abgeschoben worden. In den darauffolgenden Jahren drohte die Behörde die Abschiebung in knapp 100 Fällen zwar an, setzte sie aber nicht um.

Einreise nach Deutschland muss legal erfolgen

Ausreisepflichtig ist, wer keinen Aufenthaltstitel hat. Um einen solchen zu erhalten, reichen ein Berufsabschluss und der Job bei einem Arbeitgeber allein nicht aus, teilt die Ausländerbehörde mit. Um den Titel zu erreichen, muss das Visumverfahren nachgeholt werden. Sprich: Die Einreise muss legal erfolgen.

Anders sieht es bei straffällig gewordenen Vietnamesen aus. Sie können ausgewiesen werden, etwa wenn sie unerlaubt in der Prostitution arbeiten. Davon mache die Behörde in Leipzig auch Gebrauch, heißt es.

Le van Hoang, für dessen Verbleib in Deutschland sich die Handwerkskammer zu Leipzig und sein Arbeitgeber einsetzten, wurde zunächst in seine Heimat zurückgeschickt. Im Reisegepäck hatte er eine Menge an Papieren, darunter auch eine von der Ausländerbehörde ausgestellte Vorabzustimmung. Diese beschleunigt nach Auskunft der Leipziger Behörde den Prozess, zügig ein Visum für Deutschland zu erhalten.

Le van Hoang fand schnell Zugang zur deutschen Botschaft in Hanoi, die ihm unkompliziert ein Visum für Deutschland ausstellte. In Leipzig konnte er so eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragen.

Ministerium: Gute Erfahrungen mit beschleunigtem Verfahren

Der Ausgang des Falls sei nicht nur für Le van Hoang, sondern auch für Sachsen und seinen im Vorjahr geschlossenen Fachkräftepakt gut, meint Volker Lux, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer. Der Pakt, hinter dem Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und die Pflegeverbände stehen, wirbt gezielt im Ausland um Fachkräfte, insbesondere in Vietnam, Zentralasien, Brasilien, Ägypten und Indien.

„In Leipzig gibt es eine starke Vietnam-Community. Das Geschehen wird genau verfolgt und spricht sich herum“, sagt Lux, der der Leipziger Ausländerbehörde lobend bescheinigt, dass sie schnell reagiert und bei der Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes die Interessen der Arbeitgeber im Blick hat. Wie es in den anderen sächsischen Behörden aussieht, entziehe sich seiner Kenntnis.

Laut dem sächsischen Innenministerium wurden 2022 sieben Vietnamesen aus dem Freistaat in ihre Heimat abgeschoben. 2023 waren es 17 und in diesem Jahr bisher vier. Zugleich heißt es aus dem Ministerium, dass alle Ausländerbehörden das beschleunigte Fachkräfteverfahren durchführen, sofern der betreffende Arbeitgeber das wünscht. Grundsätzlich seien gute Erfahrungen mit diesem Prozedere im Bundesland gemacht worden. Wie oft sich Arbeitgeber für ihre ausländischen Mitarbeiter einsetzen, sei nicht bekannt.

Sachsen benötigt Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, insbesondere von Fachkräften, teilt das Wirtschaftsministerium in Dresden auf Nachfrage mit. Andernfalls werde sich die positive wirtschaftliche Entwicklung im Land nicht fortsetzen. Und es könnten auch viele soziale Dienstleistungen, etwa in der Pflege und dem Gesundheitssystem, nicht mehr erbracht werden.

Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) bewertet das beschleunigte Fachkräfteverfahren ebenfalls positiv. „Die Betroffenen sollten aktiv auf die verschiedenen Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Bleibeperspektive aufmerksam gemacht und bei der Nutzung dieser Möglichkeiten unterstützt werden. Kein Unternehmer hat Verständnis, wenn seine Auszubildenden oder Beschäftigten von heute auf morgen das Land verlassen müssen.“

Speziell beim Thema Abschiebung hält Dulig es für sinnvoll, die verfügbaren Ressourcen der Ausländerbehörden auf straffällige und nicht integrationswillige Ausreisepflichtige zu konzentrieren.

„Zu komplex selbst für Fachleute“

Thomas Gockel-Hentschel aus dem Innenministerium meint dazu, dass vielfältige Regelungen zur Fachkräftezuwanderung bestehen. „Grundsätzlich sollte die Einreise in das Bundesgebiet zum Zwecke der Arbeitsaufnahme aber nur auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg mit einem entsprechenden Visum erfolgen.“

Gut wäre es deshalb, wenn im Ausland die vielfältigen Möglichkeiten der Erwerbsmigration und der dafür eingerichteten Fachkräfteverfahren besser beworben werden würden. Das sei zumeist aber nicht so. Die Möglichkeiten der Erwerbsmigration seien oft sehr komplex und selbst für Fachleute schwer durchschaubar, teilt das Ministerium mit. Von Transparenz sei wenig zu spüren. „Der Weg über das Asylverfahren ist aber der falsche Weg.“

Wo Vietnamesen in Sachsen arbeiten

In Sachsen sind 4460 Vietnamesen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, arbeiten in Vollzeit beziehungsweise Teilzeit. Bezogen auf die Nationalitäten stehen sie damit auf Rang sechs. Die meisten ausländischen Beschäftigten kommen aus Polen, Tschechien und Rumänien, gefolgt von Syrern und Ukrainern, teilt die Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit auf Nachfrage mit. Arbeitslos gemeldet sind in Sachsen 493 vietnamesische Staatsbürger.

Bei den Auszubildenden ergibt sich dieses Bild: Von 4600 ausländischen Lehrlingen im Freistaat bilden die Vietnamesen mit 1300 jungen Leuten die größte Gruppe. In den vergangenen fünf Jahren hat sich ihre Zahl verdreifacht.

Von allen sächsischen Kommunen arbeiten die meisten Vietnamesen in Leipzig – 1253 von 4560. Beschäftigt sind sie in der Gastronomie (47 Prozent), im Sozialwesen (16), im Handel (10) und im verarbeitenden Gewerbe (8).

Vietnamesische Auszubildende absolvieren zumeist eine Lehre in der Gastronomie (50 Prozent) sowie in Heimen und Pflegeeinrichtungen (30 Prozent).